Silly irgendwie, ist nicht es?

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In meinem letzten Post habe ich von der Wirkung der Salienz berichtet, mit der wir Dinge, Farben oder Formen einer bestimmten Kategorie in bevorzugter Weise wahrnehmen. Die Vorteile dieses Vermögens liegen auf der Hand: Kraft der Salienz benötigen wir weniger Zeit, um die für uns relevanten Informationen aus unserer Umwelt herauszulesen. Das kann für das eigene Überleben entscheidend sein. Allerdings erkaufen wir diesen Vorteil mit einer deutlich eingeschränkten Weltsicht – genauer: mit dem Umstand, dass wir nur einen kleinen Ausschnitt aus der Realität zur Kenntnis nehmen. In der Folge neigen wir dann dazu, diesen Ausschnitt als die gesamte Wirklichkeit zu interpretieren. Ein Beispiel für dieses Missverständnis geben uns die selbsternannten Sprachschützer. Tagaus tagein lamentieren sie über nichts so herzhaft wie über den doch unübersehbaren Verfall der Sprache. Überall wittern die wackeren Kämpen nichts als Verarmung, Verflachung und Niedergang. Kein Wunder, dass ihnen die Prozesse der Spracherneuerung da vollkommen aus dem Blickfeld geraten. Da liegt der Impuls nahe, die Sprache in ein Schutzreservat zu sperren und mit deutlich wahrnehmbaren Verbotsschildern einzuhegen. So hat sich der Verein Deutsche Sprache zum Ziel gesetzt, der – Vorsicht: Fremdwort! – Anglisierung der deutschen Sprache einen Riegel vorzuschieben. Und aus diesem Grund hat sie zudem einen – Vorsicht: zwei Fremdwörter! – AnglizismenIndex herausgegeben. Wirklich crazy: Sprache ist eine Urgewalt, die sich aus einer eigenen Gesetzmäßigkeit entwickelt. Sie braucht keine Beschützer – vor allem keine, aus deren leidenschaftlich gepflegtem Behördendeutsch wir unentwegt das Papier rascheln hören.

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Die Sprache befindet aus eigener Selbstherrlichkeit über ihr eigenes Schicksal. Das musste schon das Niederdeutsche am eigenen Leib erfahren, das über viele Jahrhunderte das Nationalidiom der Hanse war. Ihr wirtschaftlicher Niedergang zog auch den Niedergang des Plattdeutschen nach sich. Den Todesstoß allerdings verpasste ihr Martin Luther, der mit seiner Bibelübersetzung eine Hochsprache schuf, der die einzelnen Dialekte des Deutschen mehr oder weniger in ein Nischendasein verdrängte. Der Verein Deutsche Sprache hat sich zum Ziel gesetzt, „dass Deutsch nicht zu einem Feierabenddialekt verkommt, sondern als Sprache von Kultur, Wirtschaft und Wissenschaft erhalten bleibt“. Ein schönes Ziel, (wobei der Hinweis insbesondere auf die Wissenschaft als Hort der deutschen Sprache wirklich überraschen muss, da doch gerade sie durch eine starke Neigung zum Fremdwort und zur Fachsprache geprägt ist). Aber wie auch immer: Hätte es damals – zur Zeit der Hanse – schon einen vergleichbaren Verein zum Schutz der niederdeutschen Sprache gegeben, wir würden heute über die Blauäugigkeit der damaligen Sprachschützer milde lächeln. Denn mit der niederdeutschen Sprache hätte sich auch ihr Anliegen verflüchtigt, und sie hätten nichts hinterlassen als einige mit heißer Feder verfasste Petitionen, die den Schutz der niederdeutschen Sprache einfordern. Den düwel ook! Wohin sich die deutsche Sprache auch immer entwickelt – wir haben hierauf keinen Einfluss, zumindest nicht mit Hilfe von Willenserklärungen. Der einzige Einfluss, den wir alle miteinander auf die Sprache ausüben können, ist, sich ihrer in Wort und Schrift zu bedienen. Das verändert sie, setzt sie unentwegt den unterschiedlichsten Einflüssen aus, zerstört sprachliche Formen und bringt neue hervor. Sprache ist wie ein mächtiges Wolkengebilde, das an einem Ende laufend an Substanz verliert, während ihm auf der anderen Seite immer neue zuwächst. Von bloßem Verfall keine Spur.

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Der ebenso depressive wie deprimierende Ton, den der Verein Deutsche Sprache anschlägt; dieses mit tiefschwarzer Tinte an die Wand gemalte Menetekel ist vollkommen fehl am Platz. Es suggeriert, dass wir, wenn sich das Deutsche dann eines Tages mal in seine Feierabendnische verabschiedet haben sollte, völlig ohne Sprache dastünden. Dem ist nicht so. Wir ergreifen immer dann ein neues Wort, wenn es uns ergreift. Deshalb werden wir nie ohne Sprache sein oder außerhalb einer Sprache stehen. Mögen sich Sprachformen in Nischen treiben lassen, uns selbst kann dies nicht passieren, zumindest nicht auf diesem Wege. Die Sprache ist ewig in Bewegung, auch heute, in diesem Moment, und wir bewegen uns mit ihr. Das ist der Grund, warum wir diese Änderungen nicht wahrnehmen und uns in einem sich gleichbleibenden Sprachraum wähnen. Jeden Tag gebrauchen wir Wörter, die fremdsprachigen Ursprungs sind. „Kaffee“ kommt aus dem Arabischen, „Sack“ aus dem Hebräischen, „Keller“ aus dem Lateinischen, „Affäre“ aus dem Französischen, „Zucker“ aus dem Altindischen, „T-Shirt“ aus dem Englischen, „Kiosk“ aus dem Persischen, „Schmetterling“ aus dem Slawischen, „Tomate“ aus dem Nahuatl, „Spagat“ aus dem Italienischen, „bugsieren“ aus dem Niederländischen, „Hummer“ aus dem Skandinavischen, „Tabu“ aus dem Polynesischen, „Mammut“ aus dem Russischen, „Gletscher“ aus dem Rätoromanischen, „Dolmetscher“ aus dem Türkischen, „Tollpatsch“ aus dem Ungarischen und und und. Eigentlich jedes Volk, dem wir in Frieden oder Krieg, in gegenseitiger Zuwendung oder Ablehnung verbunden waren, hat in unserer Sprache Spuren hinterlassen. Und doch nehmen wir die Gesamtheit als deutsche Sprache wahr. Silly irgendwie, ist nicht es?

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Wir durchlaufen seit nur wenigen Jahrzehnten historische Prozesse in einer Dynamik, die wir in ihrer Gesamtheit Globalisierung nennen. Waren vor nur 50 Jahren die guten alten mittelständischen Unternehmen hier in der Regel rein in deutscher Hand, hat sich das Bild deutlich verändert. Entweder sind solche Firmen von ausländischen Companies übernommen worden oder haben selbst ausländische Betriebe übernommen bzw. Filialen im Ausland gegründet. Die Verkehrssprache ist das Englische. In der Wissenschaft dasselbe Bild. Beherrschten vor 100 Jahren noch einzelne Forscherpersönlichkeiten (Albert Einstein, Marie Curie, Otto Hahn, Lise Meitner) die Szenerie, haben wir es heute mit internationalen Teams zu tun, die rund um den Globus an immer komplexeren Aufgabenstellungen arbeiten. Verkehrssprache: Englisch. Und auch privat bewegen wir uns – die offenen Grenzen und das Internet lassen grüßen – zunehmend in einer englischsprachigen Welt. Kein Wunder also, dass immer wieder englische Wörter in unseren Sprachschatz geraten. Um nur einige Beispiele zu nennen: der „Coworkingspace“, die „Influencerin“, das „Craftbeer“ und das „Selfie“ gehören ebenso dazu wie das „Darknet“, der „Hashtag“, der „Shitstorm“ oder das „Framing“. Wir alle nutzen diese Worte wie selbstverständlich. Und dennoch haben wir das Gefühl, dass es sich hierbei nach wie vor um unsere Sprache handelt.

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Warum ist das eigentlich so? Warum haben wir, obwohl unsere Sprache doch soviel fremdes Material in sich einverleibt, noch immer das Gefühl, dass wir deutsch sprechen? Das hängt offensichtlich damit zusammen, dass wir es in unsere Grammatik einfügen und damit domestizieren. So stellen wir automatisch den Substantiven, die im Englischen geschlechtslos sind, einen Artikel voran. Bei uns heißt es also „der Coworkingspace“, „die Influencerin“, „das Craftbeer“. Da hört es sich schon gleich „deutscher“ an. Auch neu hinzukommende Verben drehen wir durch den grammatischen Fleischwolf. Aus „to like“ wird „liken“, aus „to fake“ wird „faken“, aus „to chill“ wird „chillen“. Und so konjugieren wir lustig drauf los: Ich chille, Du chillst, er, sie, es chillt … und so weiter und so fort. Auch so genannte Komposita entgehen dieser Tortur nicht. Das englische Partizip Perfekt von „to download“ konjugieren wir zu „down-ge-loadet“ (analog zu „herunter-ge-laden“). Dass wir dem englischen Wort damit Gewalt antun, tut nichts zur Sache. Hauptsache, es klingt deutsch. Während also der Wortschatz durchaus offen gegenüber fremdsprachigen Einflüssen ist, bleibt die Grammatik in dieser Hinsicht geradezu unerschütterlich. So könnten wir die grammatische Wendung „isn´t it“ („It is silly, isn´t it?“) ohne Weiteres zu „ist nicht es?“ verdeutschen. Nur: Wir würden niemals damit warm werden und nutzen weiterhin unser „nicht wahr?“. Dasselbe Spiel in Bezug auf ganze Sätze. Bei einer Formulierung wie „Jähzornig Sultan Gemahlin von Kopf ihren Tafel sein an bringen ließ er“ würden wir instinktiv fragen, ob der Schreiber verbotene Substanzen zu sich genommen hat. Aber dies ist weit gefehlt. Diese für unsere Ohren verdrehte Syntax entspricht der türkischen Sprache und wird von ihren Sprechern als ganz normal empfunden, während diese gleichzeitig über unseren Satzbau „Der jähzornige Sultan ließ den Kopf der Gemahlin an seine Tafel bringen“ vermutlich ihre Augen verdrehen würden. Unsere Empfindlichkeit gegenüber grammatikalischen Abweichungen zeigt auch folgendes Beispiel: Der Satz „Ich nahm mir einen Drink“ macht uns trotz Anglizismus keine Mühe. Wir empfinden ihn als deutsch. Der rein deutsche Satz „Ich trinkte das Wasser“ (statt: „Ich trank…“) provoziert in uns hingegen Abwehrreaktionen heftigster Art. Es ist also die Grammatik, die das sprachliche Heimatgefühl sichert, und weniger das lexikalische Inventar. Die Stabilität der Grammatik ermöglicht uns die Offenheit gegenüber fremdsprachigen Begriffen.

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Nun kann man zuweilen auch mit einem „Overkill“ an Anglizismen konfrontiert sein. Ein kleines Beispiel habe ich aus dem Netz gefischt: „Du solltest mal deine Attitude checken. Wenn du hier just for fun performst, hast du nicht das richtige Mindset, und die User werden nicht für dich voten.“ Wenn jemand so redet, halten wir es für übertrieben. Hier rückt jemand nicht den Inhalt seiner Ausführungen in den Mittelpunkt, sondern sich selbst. Heraus kommt nichts als heiße Luft. Aber das hängt nicht an der englischen Sprache. Das lässt sich auch mit einer Verbindung aus Fremdwörtern und gehäuften Substantiven herstellen, wie das folgende Beispiel zeigt:Es stehen sich daher eine in die Breite und Tiefe gehende Wissensentwicklung, die idealiter die Historizität der Gegenstände und ihrer Konzeptionen, also die Fachgeschichte selbst, mit im Blick behält, und ein auf enge Innovationszonen bezogener Erkenntnisfortschritt, der auch das noch nicht Gewusste bereits als Aufgabe scharf umrissen hat, gegenüber.“ Den Vogel allerdings schießt der folgende Schreiber ab, und das ganz ohne englische Begriffe und Fremdwörter, dafür aber garantiert mit ausschließlich deutschsprachigen Wortschöpfungen: „Die Vierung west als das ereignende Spiegel-Spiel der einfältig einander Zugetrauten. Die Vierung west als das Welten von Welt. Das Spiegel-Spiel von Welt ist der Reigen des Ereignens.“ Das ist Sprachgeschwurbel vom Allerfeinsten. Auch hier will sich keiner mitteilen, sondern – im Gegenteil – als besonders tiefsinnig inszenieren, (womit wir an diesem Beispiel zugleich eine wichtige Möglichkeit von Sprache verdeutlichen können: die Herstellung von Distanz). Verfasst hat die Zeilen Martin Heidegger, der in einer Formulierung zur Hochform aufläuft, die zu meinen ganz besonderen Favoriten gehört: „Das Seyn ist die Erzitterung des Götterns“. Köstlich, isn´t it?

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Das Feindbild des Englischen taugt übrigens auch nicht als Begründung, warum wir Wörter wie „erheischen“, „fürbaß“, „gleisnerisch“, „Hagestolz“, „hochwohllöblich“, „illuster“, „Niederkunft“, „schlankerhand“ oder „zuvörderst“ als antiquiert empfinden und immer seltener nutzen. Wir nehmen diese Begriffe nicht mehr in den Mund, weil sie ihre Ausdruckskraft verloren haben. Und dies tun sie, weil sie häufig gebraucht werden oder nicht mehr zum allgemeinen Lebensgefühl passen. Der Linguist Guy Deutscher gibt ein schönes Beispiel für das Zusammenspiel von Abnutzung und Neuerschaffung eines Wortes, das dieses einseitige Lamento über den ewigen Verfall der Sprache ins Reich der Märchen verweist: Das lateinische „hoc die“ (dieser Tag, heute) hat sich zu „hodie“ verschmolzen und sich im Altfranzösischen weiter zu „hui“ verkürzt. Bis hierhin folgt die Entwicklung der Sprachökonomie, also der Reduzierung des Sprachaufwandes bei gleichzeitiger Bewahrung der zugeschriebenen Bedeutung. Mit der Zeit wurde das Wort in der allgemeinen Wahrnehmung vermutlich als so schwach empfunden, dass nun eine Gegenbewegung einsetzte: die Erhöhung der Expressivität. Das Wort „hui“ entwickelte sich zu „au jour d´hui“, was eigentlich nichts anderes heißt wie „Heute heute“. Wieder erfolgt eine Verschmelzung, diesmal zu „aujourd´hui“. Eine Form, die offensichtlich mit der Zeit erneut eine Einbuße an Ausdruckskraft erfuhr, was nach einer erneuten Steigerung der Ausdruckskraft geradezu schrie. Deshalb heißt es im modernen Umgangsfranzösisch mittlerweile „Au jour ajourd´hui“, also „Heute heute heute“. Echt silly irgendwie…

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Tatsächlich entwickelt sich die Sprache im Spannungsfeld dreier Faktoren:

  • Sprachökonomie: Sie führt zum Abschleifen und Verschmelzen von Wortformen.
  • Expressivität: Sie verursacht die Erweiterung bestehender Wortformen, die Verwendung von bestehenden Begriffen in neuen Zusammenhängen, die Übernahme von Begriffen aus fremden Sprachen, den Gebrauch von Superlativen und Elativen wie ´Mega´, aber auch das Absterben bestehender Begriffe.
  • Ordnung: Sie sorgt für die formale Angleichung neu aufgenommenen Wortmaterials im Rahmen der Grammatik. Durch den ständigen Gebrauch dieser derart „eingenordeten“ Begriffe verlieren sie immer mehr das Fremde. Sie sinken immer tiefer in unser sprachliches Heimatgefühl hinein und werden mit der Zeit Teil seines Sediments.

Ein über einen Zeitraum von vielleicht eine Million Jahren eingeübtes Kräftespiel, auf das niemand Einfluss hat, auch kein Verein Deutsche Sprache.